Warum fühlen wir uns in manchen Straßenräumen wohler als in anderen? In diesem Beitrag erfahren Sie sechs Gründe für die Durchführung einer Verträglichkeitsanalyse und lernen, welche Faktoren einen verträglichen Straßenraum ausmachen.
Bevor Sie diesen Blogbeitrag lesen, sollten Sie sich folgendes fragen: Warum fühle ich mich in manchen Straßenräumen wohler als in anderen? Beim Spazierengehen, am Weg zur Arbeit oder zum Supermarkt, wenn Sie mit dem Rad unterwegs sind oder vielleicht auch, wenn Sie ihre Kinder zum Spielen nach draußen schicken.
Gedanklich hat wahrscheinlich jede:r von uns schon einmal den Straßenraum auf seine Verträglichkeit geprüft. Etwa ob der Radweg breit genug ist, um sich darauf ohne mulmiges Bauchgefühl fortzubewegen, beim Queren zur anderen Seite auf einer stark befahrenen Straße oder auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit, um sich dort kurz auszuruhen. Bei der Verträglichkeitsanalyse des Straßenraums handelt es sich um ein Tool, mit dem diese Art von Bewertung systematisch und möglichst objektiv durchgeführt werden kann.
Aus Sicht von Politik und Verwaltung hat dies den Vorteil, dass Maßnahmen zur Verbesserung der straßenräumlichen Verträglichkeit in Folge zielgerichtet und nachvollziehbar sind und dort ansetzen, wo es notwendig ist. Im Zuge der Verkehrswende liegt der Fokus auf aktiver Mobilität. Denn insbesondere der Verkehrssektor erzeugt große Mengen an Treibhausgasen, wobei der motorisierte Individualverkehr ein Hauptfaktor ist. Ein verträglicher Straßenraum fördert aktive Mobilität, indem er die entsprechenden Voraussetzungen schafft.
Im Folgenden erfahren Sie sechs Gründe für die Durchführung einer Verträglichkeitsanalyse und lernen, welche Faktoren einen verträglichen Straßenraum ausmachen. Bevor wir damit starten, werden wir noch die wichtigsten Begriffe für das Verständnis der Thematik klären.
Begriffserklärungen und Prinzip einer Verträglichkeitsanalyse
Straßenraum
Straßenraum bezeichnet den Bereich, der sich über Fahrbahnen, Parkstreifen, Grünstreifen, Geh- und Radinfrastruktur bis hin zu den angrenzenden Grundstücken erstreckt. Er ist ein öffentlicher Raum mit vielen Nutzungsansprüchen. Bei Verträglichkeitsanalysen wird die Randnutzung meist noch gemeinsam mit dem Straßenraum betrachtet. Damit ist die Erdgeschossnutzung der angrenzenden Bebauung gemeint, wie beispielsweise Geschäfte.
Verkehrsbelastung
Bei der Verkehrsbelastung handelt es sich um die Anzahl der Fahrzeuge innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls an einem Punkt oder auf einer Strecke. Eine typische Betrachtung im Rahmen einer Verträglichkeitsanalyse wäre die Anzahl der Kraftfahrzeuge pro Spitzenstunde auf einem Straßenabschnitt.
Verträglichkeit
Verträglichkeit ist ein Maß für die Belastbarkeit eines Straßenraums. Sie zeigt, was die größtmögliche Verkehrsbelastung ist, “bei der die umwelt-, sicherheits- und unterhaltsbedingten Grenz- oder Richtwerte nicht überschritten werden” (Häfliger et.al. 2015: 19).
Es wird davon ausgegangen, dass der motorisierte Verkehr mit seiner Menge, Zusammensetzung, Geschwindigkeiten und seinem Verkehrsablauf sich negativ auf andere Nutzungen im Straßenraum auswirkt. Es gibt jedoch eine Vielzahl an Faktoren, welche die Verträglichkeit beeinflussen. Grüne Elemente, gut ausgestaltete Geh- und Radinfrastruktur sowie niedrige Geschwindigkeiten erhöhen die Verträglichkeit. Außerdem spielt das Umfeld eine Rolle. Handelt es sich beispielsweise um eine Geschäftsstraße mit geschlossener Bebauung, auf der viele Fußgänger:innen und Radfahrer:innen unterwegs sind, ist eine geringere Verkehrsbelastung verträglich als bei einer Straße im Industriegebiet mit wenigen nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer:innen.
Im Straßenraum bestehen viele Nutzungsansprüche, welche sich auch widersprechen können. Ziel ist es, den Straßenraum so zu gestalten, “dass die Verträglichkeit für Mensch und Umwelt möglichst hoch ist” (Häfliger et.al. 2015: 19) und Nutzungen neben- und miteinander erfolgen können.
Die Verträglichkeitsanalyse ist ein Instrument, mit dem Verträglichkeiten bzw. Unverträglichkeiten im Straßenraum nachvollziehbar und vergleichend bewertet werden können.
6 Gründe für die Durchführung einer Verträglichkeitsanalyse
- Ermittlung Handlungsbedarf
- Grundlagen schaffen und Probleme identifizieren
- Vergleichbarkeit
- Aufdecken von räumlichen Disparitäten
- Effiziente Ressourcennutzung
- Nachvollziehbarkeit
Ermittlung Handlungsbedarf
Es gibt zahlreiche Gründe, einen Straßenraum zu transformieren und verträglicher zu gestalten. Es kann jedoch schwer sein, in der Vielfalt an Themen und dem verzweigten Straßennetz einer Gemeinde zu erkennen, wo der Hut brennt! Die Verträglichkeitsanalyse ist für diese Situation geschaffen und hilft, den Handlungsbedarf sowohl zu ermitteln als auch nachvollziehbar zu argumentieren. So können Prioritäten gesetzt und systematisch Planungen sowie Verbesserungsmaßnahmen durchgeführt werden.
Im Rahmen einer Verträglichkeitsanalyse wird zumeist ein Wert für die maximal verträgliche Verkehrsbelastung (z.B. 800 Kfz/Spitzenstunde) je betrachteten Straßenabschnitt festgelegt. Dabei werden verschiedene Einflussfaktoren und das Straßenumfeld berücksichtigt. Anhand der tatsächlich gemessenen Verkehrsbelastung (z.B. 1000 Kfz/Sp-h) und der maximal verträglichen Verkehrsbelastung kann nun die Verträglichkeit im Straßenraum bewertet und eingestuft werden. Daraus lässt sich ableiten, ob Handlungsbedarf besteht und der motorisierte Verkehr reduziert und/oder Verbesserungsmaßnahmen umgesetzt werden müssen.
Im Kanton Zürich wurde 2013 eine Verträglichkeitsanalyse für das gesamte Netz des Kantons durchgeführt (Bühlmann, Laube, 2013). Diese deckte Probleme und Konflikte auf, welche anschließend mit einem Strategieplan bestmöglich gelöst wurden. Dabei hatten die Planer:innen ein klares Ziel vor Augen: Das Erhalten und Optimieren des Straßennetzes, sodass alle Nutzungsansprüche erfüllt werden. Als eindeutiger Vorteil wurde genannt, nach der Analyse Klarheit über das Ausmaß der Verkehrsbelastung und der einhergehenden Unverträglichkeiten zu haben.
Die Verträglichkeitsanalyse kann der zentrale Bearbeitungsstrang einer Verkehrsentwicklungsplanung sein, die sowohl aus sozialer als auch aus Umweltsicht verträglich ist und somit als Grundlage für Eingriffe dient. Sie kann Ausgangspunkt sein für die Transformation der Straße in einen öffentlichen Raum, der verträglich ist, in dem sich Menschen gerne aufhalten und bewegen und der somit aktive Mobilität fördert. Welche Maßnahmen die Verträglichkeit verbessern, soll unter Betrachtung der Einflussfaktoren festgestellt werden, wie im nächsten Punkt ausgeführt wird.
Grundlagen schaffen und Probleme identifizieren
Die Analyse ermöglicht zudem das genauere Identifizieren der Problemkategorien. Bei der Bewertung werden neben der Verkehrsbelastung verkehrstechnische Faktoren wie Geschwindigkeit oder LKW-Anteil einerseits und gestalterische Faktoren wie die Flächenaufteilung, Begrünungen oder Querungsmöglichkeiten andererseits einbezogen. Durch die differenzierte Darstellung der Problemkategorien geben diese klare Hinweise auf Stärken und Schwächen des Straßenabschnittes und es können entsprechende strategische Schlüsse für die Planung und Wirkung von Maßnahmen gezogen werden.
Warum das wichtig ist, zeigt sich auch im folgenden Beispiel. In Mönchengladbach wurde 2011 nach Übernahme der Verantwortung durch eine andere Partei ein Verkehrsentwicklungsplan (VEP) beschlossen (Baier et. al. 2011). Ursprünglich war das Fehlen einer fundierten Grundlagenforschung stark kritisiert worden, vor allem hinsichtlich der Ermittlung von negativen Auswirkungen des Kfz-Verkehrs. Bei der überarbeiteten Vorgehensweise bildete die Verträglichkeitsanalyse einen wichtigen Teil der Grundlagenforschung. Der Fokus lag auf den Problemkategorien Verträglichkeit für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen, Lärm, Luftschadstoffe und Verkehrssicherheit. Besonderer Verbesserungsbedarf konnte für den Radverkehr festgestellt werden, sodass entsprechende Maßnahmen im VEP gesetzt wurden. Zudem ergaben sich durch die Überlagerung der Ergebnisse aus den Problemkategorien besonders unverträgliche Straßenräume. Diese wurden mit Priorität behandelt.
Durch die Möglichkeit, Probleme nach Faktoren aufzuschlüsseln, ist die Verträglichkeitsanalyse also ein sehr nützlicher Teil einer Grundlagenforschung.
Vergleichbarkeit
Vergleiche geben neue Perspektiven, helfen bei Entscheidungen und steigern die Effizienz. Eine Verträglichkeitsanalyse erlaubt das systematische Vergleichen von Straßenabschnitten. Durch die klaren Bewertungsergebnisse können im Vergleich objektive Entscheidungen besser getroffen werden. Auf welche Art verglichen wird, hängt von der angestrebten Erkenntnis ab.
- Werden verschiedene Straßenabschnitte oder Standorte miteinander verglichen, handelt es sich um einen Querschnittsvergleich. Ein Beispiel wäre der Vergleich verschiedener Hauptverkehrsstraßen einer Gemeinde, um daraus eine Dringlichkeitsreihung abzuleiten, sprich welche Straße als erstes erneuert werden muss. Dies hilft zudem, bewährte Verbesserungsmaßnahmen zu identifizieren und eine effektivere Planung zu fördern.
- Ein zeitlich versetzter Vorher/Nachher-Vergleich desselben Straßenabschnitts (Längsschnittvergleich) ist sinnvoll, wenn Maßnahmen zur Verbesserung der Verträglichkeit gesetzt wurden und das Ausmaß des positiven Effekts evaluiert werden soll. Außerdem dient dieser Vergleich als Wirkungsanalyse von geplanten Maßnahmen. Es kann auf Effektivität, Effizienz und Zielerreichung geprüft werden.
- Sollen ganze Gebiete mit sehr guter bzw. schlechter Verträglichkeit identifiziert werden, steht ein großräumiger Vergleich zur Verfügung, der im nächsten Punkt genauer beschrieben ist.
In der Stadt Karlsruhe etwa diente die Verträglichkeitsanalyse zunächst als Mittel, Probleme zu identifizieren, um im Verkehrsentwicklungsplan entsprechende Verbesserungsmaßnahmen zu setzen (Stadt Karlsruhe Stadtplanungsamt, 2009). Im späteren Verlauf wurde diese aber auch im Sinne des Längsschnittvergleichs verwendet. Es wurde die Wirkung von Szenarien und geplanten Maßnahmen auf den Straßenraum getestet, um festzustellen, wie die Verträglichkeit am effektivsten verbessert werden kann. Bei den Maßnahmen handelte es sich zum Beispiel um strengere Geschwindigkeitsbeschränkungen, Verkehrsentlastungen und Aufwertungen der Infrastruktur für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen. Der Vergleich der Ausgangslage mit dem Zukunftsszenario des Handlungskonzept ergab, dass die Maßnahmen im Handlungskonzept das Potenzial haben, die Aufenthaltsqualität, Barrierefreiheit und verfügbaren Gehwegbreiten zu steigern, die Verkehrsbelastung zu vermindern und Lücken im Geh- und Radwegenetz zu schließen. So wurde die positive Wirkung des Konzepts bereits vor der Umsetzung festgestellt.
Aufdecken von räumlichen Disparitäten
Wird eine flächendeckende Analyse für eine Stadt, Ortschaft oder etwa einen Bezirk vorgenommen, zeigt diese auf, ob es benachteiligte Gebiete gibt. Dabei ist insbesondere die Darstellung der Ergebnisse in einer Karte hilfreich. Werden dabei die Straßenzüge beispielsweise von “sehr verträglich” bis “nicht verträglich” farblich markiert, können durch visuelle Betrachtung Gebiete mit Nachholbedarf oder sehr fortschrittliche Gebiete identifiziert werden. Dies liefert eine wichtige Grundlage für weiteres strategisches Vorgehen bei der Auswahl von zukünftigen Projekten. Es ist wichtig, Prioritäten für die Planung und Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verträglichkeit festzulegen.
Genau dies wurde in der Stadt Dorsten getan (Baier, 1992). Mit dem Ziel, gesamtstädtisch den Verkehr zu beruhigen, führte man als ein Ausgangspunkt für die Planung eine Verträglichkeitsanalyse durch. Lage, Art und Schwere der aufgezeigten Probleme in den einzelnen Straßenabschnitten wurden gesamtstädtisch dargestellt und verglichen. Dies zeigte, wo Häufungen von Problemen bestehen und eine Prioritätenreihung für Maßnahmen konnte abgeleitet werden .
Effiziente Ressourcennutzung
Aufgrund der Verträglichkeitsanalyse können Maßnahmen zielgerichtet an bestimmten Orten und zur Verbesserung von bekannten Problemen oder Nutzungskonflikten ansetzen. Dadurch haben die Maßnahmen nachhaltig einen größeren Impact und das Verbesserungspotential wird mit den vorhandenen Ressourcen bestmöglich ausgeschöpft.
Nutzungskonflikte im Straßenraum bestehen beispielsweise durch Mängel bei der Ausstattung, aufgrund von Emissionen wie Lärm oder wenn eine Nutzer:innengruppe gefährdet oder behindert wird. Ressourcen, die in diesem Zusammenhang gemeint sind, erstrecken sich von finanziellen sowie personellen Ressourcen, die auch eine zeitliche Komponente haben, bis zu sozialen Ressourcen, geistigem Kapital oder den verfügbaren Flächen im Straßenraum.
Nachvollziehbarkeit
Es ist allgemein bekannt, dass Transparenz und Nachvollziehbarkeit für Vertrauen in politische Entscheidungen sorgen. Eine strukturierte Analyse der straßenräumlichen Verträglichkeit schafft eine Grundlage für transparente Entscheidungsprozesse in der Planung. Dies fördert die Nachvollziehbarkeit bei der Auswahl von Maßnahmen und Prioritäten. Sie ermöglicht es außerdem, den Bürger:innen Maßnahmen besser zu kommunizieren. Dadurch wird die Akzeptanz und Legitimität der getroffenen Entscheidungen gestärkt und zur Konfliktlösung bei bestehenden Spannungen beigetragen.
Ein weiterer Aspekt, der für Nachvollziehbarkeit sorgt, ist das Aufzeigen der Wirkung von Verbesserungsmaßnahmen mit Hilfe der Analyse. So wird Bürger:innen verdeutlicht, dass Steuergelder sinnvoll eingesetzt werden.
7 Faktoren, die einen verträglichen Straßenraum kennzeichnen
Faire Flächenaufteilung und gut ausgebaute Infrastruktur
Ausreichend Fläche und hochqualitative Infrastruktur sind wesentlich für die verschiedenen Nutzungen im Straßenraum. Die Dominanz des Autoverkehrs in den letzten Jahrzehnten hat dafür gesorgt, dass Flächen oft ungerecht verteilt sind. Österreichische Städte und Ortskerne sind meist historisch gewachsen und gar nicht auf die Automobilität ausgelegt. Trotzdem wird oft das Planungsleitbild der autogerechten Stadt verfolgt. Geh- und Radwege sind zu schmal oder gar nicht vorhanden. Statt Grünflächen finden sich Parkplätze und es ist kein Platz zum Verweilen oder Spielen. Die Flächenaufteilung ist maßgeblich für die Verträglichkeit im Straßenraum. Die Geh- und Radinfrastruktur muss situationsgerecht gestaltet sein und nicht lediglich den gesetzlichen Mindestmaßen entsprechen. Insbesondere Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung bieten die Möglichkeit, Flächen neu zu verteilen. Neben der Breite von Geh- und Radinfrastruktur tragen auch andere Faktoren zur Qualität bei. Der Bodenbelag und bauliche Zustand, die Gestaltung, die Möblierung sowie die Beleuchtung sind ebenso entscheidend wie die direkte und homogene, aber interessante Führung ohne Umwege sowie die Durchgängigkeit. Die Abbildung unten zeigt einen Radstreifen, der durch den rötlichen Bodenbelag visuell hervorgehoben wird und somit besser sichtbar ist. Bei der Gestaltung von Geh- und Radwegen muss auch auf die Barrierefreiheit geachtet werden.
Niedrige Geschwindigkeiten
Geringere Fahrgeschwindigkeiten erhöhen nachweislich die Verkehrssicherheit und das subjektive Sicherheitsgefühl. Bei Tempo 30 statt 50 sinkt das Tötungsrisiko für Fußgänger:innen um 75 %. Außerdem steigt die Lebensqualität und Aufenthaltsqualität erheblich – vor allem für Kinder, da sie länger ohne Aufsicht draußen spielen können . Gleichzeitig ermöglicht diese Maßnahme eine effizientere Nutzung des städtischen Raums durch eine Reduzierung der benötigten Verkehrsflächen um 8 bis 41 % pro Fahrstreifen.
Gute Luft und Ruhe
Luftverschmutzung ist in der EU die am häufigsten vorkommende umweltbedingte Ursache für vorzeitigen Tod und kann Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegsprobleme und Krebs verursachen. Ebenso können Lärmemissionen die Lebensqualität beeinträchtigen und erheblichen Stress, Schlafstörungen sowie gesundheitliche Probleme hervorrufen.
Im Zusammenhang mit Lärm- und Schadstoff-Emissionen wird oft ein geringer LKW-Anteil am Verkehrsaufkommen als Indikator für eine verträgliche Straße gesehen. Dieser wird als besonders beeinträchtigend wahrgenommen, selbst bei ansonst geringem Verkehrsaufkommen. Geschwindigkeit ist ein weiterer wichtiger Faktor.
Bei einer Geschwindigkeit von 30 statt 50 km/h nimmt der anhaltende Lärmpegel im Durchschnitt um drei Dezibel ab, was für das menschliche Gehör so klingt, als ob das Verkehrsaufkommen halbiert würde.
Ein grünes Umfeld mit Verweilmöglichkeiten
Grüne Elemente wie Bäume, Büsche oder Grünstreifen erfüllen im Straßenraum vielzählige Funktionen. Sie reduzieren die Hitze, indem sie Schatten spenden und Wasser verdunsten. Außerdem wird Staub in der Luft gefiltert und Regenwasser kann leichter versickern. Sowohl grüne als auch andere gestalterische Elemente tragen zur Ästhetik sowie zur Aufenthaltsqualität im Straßenraum bei. Sie leiten den Blick und dienen als optisches Gegengewicht zur technischen Ausstattung. Sitzgelegenheiten in regelmäßigen Abständen fördern die Barrierefreiheit für ältere sowie beeinträchtigte Personen.
Freies Queren und Bewegen im Straßenraum
Mehrspurige sowie breite Fahrbahnen, hohe Geschwindigkeiten, ein großes Verkehrsaufkommen und Bevorzugungen an Kreuzungen bewirken, dass der Kfz-Verkehr den Straßenraum dominiert und eine starke Trennwirkung ausübt. Dies wirkt negativ auf alle Verkehrsteilnehmer:innen, aber insbesondere Fußgänger:innen sind betroffen. Verträglich ist ein Straßenraum, welcher an das Querungsbedürfnis von Fußgänger:innen angepasst ist. In Begegnungszonen oder Wohnstraßen sind alle Verkehrsteilnehmer:innen gleichberechtigt und das freie Queren wird ermöglicht. Demgegenüber steht das punktuelle Queren auf Schutzwegen. Wird selbst das punktuelle Queren nur in weiten Abständen zugelassen, ist die Trennwirkung besonders ausgeprägt.
Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer:innen
Damit sich alle Verkehrsteilnehmer:innen im Straßenraum wohl fühlen können, ist die Verkehrssicherheit bedeutend. Unterschiede zwischen Straßen bestehen in Bezug auf die Zahl der Unfälle und Unfallfolgen. Ziel ist eine Straße ohne Unfallschwerpunkte oder gefährliche Elemente. Potenzielle Gefahren sind beispielsweise Mängel bei der Infrastruktur, Sichteinschränkungen oder Beeinträchtigungen durch den Verkehrsablauf. Mit gezielten Maßnahmen kann die Verkehrssicherheit verbessert werden. Fahrbahnanhebungen, Bodenmarkierungen, Signalanlagen und verkehrsberuhigende Maßnahmen tragen zur Sicherheit bei. Nicht zu unterschätzen ist auch die subjektive Sicherheit, die auf persönlicher Wahrnehmung und Gefühlen basiert.
Geringe Verkehrsbelastung
Der zentrale Faktor ist die Verkehrsbelastung. Auch wenn die bisher gezeigten Faktoren signifikanten Einfluss auf die Verträglichkeit haben, kann diese schlussendlich gerade dann ganzheitlich verbessert werden, wenn die Verkehrsbelastung reduziert wird. Ein verträglicher Straßenraum kennzeichnet sich durch eine geringe Verkehrsbelastung. Dies liegt daran, dass der motorisierte Verkehr “verursacht durch seine Menge, seine Zusammensetzung, die realisierten Geschwindigkeiten und die Art des Verkehrsablaufs bei den übrigen Straßenraum- und Umfeldnutzern Einbußen hinsichtlich Sicherheit, Wohlbefinden, Bewegungskomfort und Aufenthaltsqualität” (Baier, 1992: 395) auslöst.
Fazit
In diesem Beitrag haben Sie erfahren, welche Gründe es für die Durchführung einer Verträglichkeitsanalyse gibt. Sie dient zunächst dazu, den Handlungsbedarf im Straßenraum zu ermitteln und Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten. Dafür ist die genaue Identifizierung von Problemkategorien hilfreich, denn diese geben Hinweise auf Stärken und Schwächen des Straßenabschnitts. Die Vergleichbarkeit verschiedener Straßenabschnitte fördert objektive Entscheidungen, die Reihung von Prioritäten und ermöglicht Evaluierungen. Die Analyse deckt auch räumliche Disparitäten auf und erleichtert die effiziente Nutzung von Ressourcen, indem sie gezielte Maßnahmen zur Lösung bekannter Probleme ermöglicht. Schließlich trägt sie zur Nachvollziehbarkeit und Transparenz bei und stärkt die Akzeptanz von Maßnahmen.
Darüber hinaus wurden auch jene Faktoren aufgezeigt, die einen verträglichen Straßenraum ausmachen. Besonders wichtig sind eine faire Flächenaufteilung und gute Infrastruktur sowie eine geringe Verkehrsbelastung. Aber auch Geschwindigkeit, Emissionen, grüne Gestaltung des Straßenraumes, freies Queren und Verkehrssicherheit sind bedeutende Faktoren.
Wenn Sie an die Frage zu Beginn zurückdenken, können Sie nun vielleicht leichter beantworten, warum sie sich in manchen Straßenräumen wohler fühlen als in anderen.
Ausblick
Wenn Sie dieser Beitrag neugierig gemacht hat und Sie mehr über die Umsetzung einer Verträglichkeitsanalyse erfahren möchten, lesen sie die Fortsetzung (in Arbeit) zu den verschiedenen Bewertungsansätzen und Herausforderungen. Dort werden drei konkrete Bewertungsansätze vorgestellt. Außerdem werden Herausforderungen diskutiert und die genannten Ansätze kritisch betrachtet.
Referenzen:
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- R. Baier, C. Hebel, Y. Jachtmann, A. Reinartz, K. H. Schäfer und A. Warnecke (2011): Stadt Mönchengladbach. Untersuchungen zur Verkehrsentwicklungsplan. hg. v. BSV – Büro für Stadt- und Verkehrsplanung Reinhold Baier, Aachen. https://spdgiesenkirchen.files.wordpress.com/2011/12/entwurf-schlussbericht-verkehrsentwicklungsplan.pdf (4.3.2024).
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