Lernen als Schlüssel zur Transformation

Spielbuchstaben aus Holz, die das Wort "LEARN" bilden
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Die Umgestaltung öffentlicher Mobilitätsräume ist keine einfache Aufgabe. Sie erfordert ein breites Spektrum an Vor-Ort-Wissen, das nur durch “learning by doing” aufgebaut werden kann. Da Umgestaltungsprozesse so komplex sind und viele unterschiedliche Akteur:innen erfordern, helfen Lernstrategien, um aus dem unbewussten learning by doing schrittweise funktionierende Abläufe, Maßnahmen und Strukturen zu entwickeln.  

Strukturen für‘s Lernen zu etablieren ist auch entscheidend dafür, das Erfahrungswissen einzelner Personen auch für andere zugänglich zu machen. Systematisch zu lernen verbessert nicht nur die Abläufe innerhalb von Gruppen, sondern trägt auch zur Bewusstseinsbildung über gemeinsame Ziele bei. Das wiederum ist notwendig, um diese Ziele entsprechend anzupassen sowie langfristig Denkmuster und Rollenverständnisse zu verändern – und nur so kann die Mobilitätswende gelingen. In diesem Beitrag geht es im Folgenden darum, welche Rolle das Lernen für erfolgreiche Umgestaltungsprozesse spielt. Darum, wie diese notwendigen Lernprozesse in Gang gesetzt werden können, geht es im Blogbeitrag “Offenheit für Veränderung”.

Was müssen wir für die Transformation von Straßen und Plätzen wissen?  

Es gibt bereits gute Beispiele dafür, wie Straßen und Plätze erfolgreich umgestaltet werden können. Aber selbst an vielen Orten erprobte Lösungsansätze und „Best practice“-Beispiele aus anderen Städten können nicht „einfach so“ an jedem beliebigen Ort umgesetzt werden. Jede Gemeinde und jeder Straßenraum ist speziell und hat seine eigenen Herausforderungen. Erfolgreiche Umgestaltungen von Straßen und Plätzen erfordern dabei verschiedene Arten von lokal spezifischem Wissen. 

Das bedeutet, dass man am Anfang ein gutes Verständnis für die Ausgangslage haben sollte, um effektiv in diese eingreifen zu können (Systemwissen). Im Fall der Umgestaltung einer Straße kann das etwa die aktuelle Verkehrssituation und die Rolle der betreffenden Straße für die ganze Gemeinde oder Region sein: Wie wird diese genutzt? Wie wird sie von unterschiedlichen Nutzer:innengruppen wahrgenommen? Und natürlich: Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten und welche Organisationen oder Abteilungen sind für welche Aspekte zuständig? Wer sind dabei die wichtigsten Akteur:innen (siehe Blogbeitrag: „How to: Akteurs-Landkarten gestalten“)?  

Als zweites braucht es das Wissen darüber, was erreicht werden soll (Zielwissen). Welche Ziele sollen mit der Maßnahme erreicht werden? Sollen Aufenthaltsqualität oder neue Radverbindungen geschaffen werden, oder steht im Vordergrund, die Emissionen durch den Verkehr zu senken, oder das Mikroklima zu verbessern? Und darauf aufbauend: Welche Aspekte sind dafür relevant? Wie soll der Straßenraum künftig aussehen? Wie sollte er von wem genutzt werden? Welche Zielwerte sollen durch die Umgestaltung erreicht werden? Kurz gesagt geht es darum, klare und relevante Ziele für die Umgestaltung festzulegen – um so gut entscheiden zu können, welche Maßnahmen dafür geeignet sind. 

Gerade bei komplexen Zielen wie die Mobilitätswende umzusetzen oder klimaneutral zu werden, braucht es ein vielfältiges Wissen über unterschiedliche Aspekte und Konfliktfelder. Wichtig ist, sich darüber bewusst zu werden, dass unterschiedliche Akteur:innen auch unterschiedliches Zielwissen haben. Hier stehen sich nicht nur unterschiedliche Interessen gegenüber (wie zwischen Autobesitzer:innen und anderen oder Radfahrer:innen und Fußgeher:innen), sondern auch ein unterschiedlich tiefgehendes Verständnis über die Wirksamkeit oder Sinnhaftigkeit bestimmter Aspekte in Bezug auf Transformation des Straßenraums.  

Wenn Ausgangssituation und Zielsetzung bekannt sind, stellt sich die Frage: „Wie kann das Ziel erreicht werden?“ Oder auch: „Wer muss was tun, um die Maßnahmen erfolgreich umzusetzen?“ (Transformationswissen). Das beinhaltet ein Wissen über geeignete Strategien und Maßnahmen sowie deren Umsetzung. Dazu gehören Kenntnisse über die Gestaltung von Prozessen, Denk- und Herangehensweisen, die Anwendung von Technologien, die Organisation von Arbeitsabläufen und ähnliches.

  • Wie kann eine Finanzierung aufgestellt werden?  
  • Wer muss wann in den Prozess einbezogen werden?  
  • Wie spricht man schwierige Schlüsselakteur:innen auf die richtige Weise an?  
  • Welche, vielleicht auch informellen, Lösungswege sollte man gehen, wenn etwas anfangs nicht möglich erscheint?  

Dabei sind sowohl strategische Herangehensweisen, als auch kreative Vorstellungskraft erforderlich, welche Möglichkeiten eine Neugestaltung bietet, um die Ziele zu erreichen.  

Erfahrungswissen weitergeben  

Ein großer Bestandteil dieses Wissens, das für die Transformation von Mobilitätsräumen essenziell ist, verbleibt aber „im Kopf“ einzelner Akteur:innen. Um die Handlungsfähigkeit zu steigern, ist es aber entscheidend, das Erfahrungswissen innerhalb der Verwaltung bewusst zu machen und weiterzugeben. Das Erfahrungswissen weiterzugeben ist gerade im Berufsalltag eine große Herausforderung. Oftmals sind sich die Personen selbst nicht bewusst, über welches besondere Wissen sie verfügen – sie wenden es einfach alltäglich und unhinterfragt an. Um eine Weitergabe zu ermöglichen, sind Formate für Reflexion und Austausch erforderlich. Während der Großteil des Lernens im Berufsalltag implizit stattfindet – durch das Sammeln von Erfahrungen und den Austausch mit Kolleg:innen – muss dieses Wissen nun bewusst verarbeitet werden, um geteilt werden zu können (reflexives Lernen)

Eine Möglichkeit dafür ist die systematische Evaluation von Prozessen, insbesondere bei Pilotprojekten oder anderen Initiativen, die bewusst zum ersten Mal angegangen werden (siehe Beitrag: Integrierte Evaluation für die Mobilitätswende). Auf einer alltäglicheren Ebene können regelmäßige Reflexionsschleifen eingeführt werden, wie sie beispielsweise im agilen Projektmanagement üblich sind. Hierbei wird in monatlichen Meetings oder kurzen Workshops die bisherige Arbeitsweise sowie die erzielten Ergebnisse reflektiert (siehe dazu auch Beitrag: „Aus dem agilen Projektmanagement für die Transformation lernen“). 

Das kann auch für diejenigen, die ihr Erfahrungswissen mit den anderen teilen, einen bestärkenden Effekt haben und ihnen ermöglichen, das Wissen bewusst anzuwenden. 

Lernen als Schlüssel für die Bewusstseinsbildung  

Eine solche Reflexion ermöglicht jedoch nicht nur unmittelbare Verbesserungen von Abläufen, um effizienter zu werden (“do the thing right”). Die bewusste Verarbeitung (gemeinsam) gemachter Erfahrungen ermöglicht auch, diese in neue Ansätze und Handlungsmuster zu integrieren. Institutionelle Lernprozesse sind daher auch entscheidend für eine langfristige Veränderung der Perspektiven, Denkmuster und grundlegenden Annahmen, die zu einer reflexiven Anpassung der Ziele führen (“do the right thing”). Insbesondere wenn verschiedene Akteur:innen und Abteilungen mit unterschiedlichen Handlungslogiken, Perspektiven und Arbeitskulturen zusammenarbeiten sollen, ist es entscheidend, Rahmenbedingungen für solche Bewusstseinsbildungsprozesse aktiv zu schaffen. 

Ein häufiges Hindernis ist dabei der Satz: „Das haben wir noch nie so gemacht“. Die Institutionalisierung von Reflexions- und Lernprozessen ist ein strategischer Schritt, um Offenheit zu schaffen und Neues denkbar zu machen. Die Entwicklung von Visionen und das Lernen sind essenzielle Bestandteile, um größer denken zu können und die Transformation erfolgreich voranzutreiben

Lernen hilft, mit Komplexität umzugehen 

Die Weitergabe von Erfahrungswissen und die gemeinsame Bewusstseinsbildungsprozesse sind umso wichtiger, je unübersichtlicher die Aufgaben und je mehr Akteur:innen involviert sind. Gerade von der „Querschnittsaufgabe öffentlicher Raum“ werden nicht nur viele Stakeholder und Nutzer:innengruppen berührt, sondern – gerade in größeren Städten – auch die Zuständigkeiten vieler unterschiedlicher, stark in ihrer Eigenlogik etablierter Verwaltungsabteilungen. Qualitätsvolle Umgestaltungen erfordern daher die Integration von vielen verschiedenen Sichtweisen. Umgekehrt ist es in vielen kleinen Gemeinden, die zwar „kürzere Wege“ in Politik und Verwaltung und oftmals informelle Regelungen haben, aber generell eher nicht mit ähnlich komplexen Herausforderungen konfrontiert wurden. Die Umgestaltung von Straßen und Plätzen braucht daher nicht nur ein hohes Maß an Kapazitäten und Fachwissen in Verwaltungen, sondern oftmals auch neue Strukturen für die Zusammenarbeit

Eine zentrale Herausforderung ist also, schrittweise funktionierende Abläufe, Strukturen und Lösungsmöglichkeit zu entwickeln, die zu den jeweiligen lokalen Herausforderungen passen. In diesem Kontext ist Lernen von entscheidender Bedeutung: „Learning by doing“ erlaubt es, Neues auszuprobieren, aus den Erfahrungen zu lernen und damit die Abläufe und Maßnahmen für den nächsten Schritt oder das nächste Mal anzupassen. Daher ist es wichtig, regelmäßige Reflexionsschleifen einzuziehen, um kontinuierlich zu überprüfen, was verbessert werden kann. Solche Lernprozesse könne auch dabei helfen, alle Beteiligten aktiv einzubeziehen, Lösungsorientiert zu arbeiten und passive, ablehnende Haltungen zu vermeiden.  

Fazit  

Die Transformation öffentlicher Mobilitätsräume ist eine komplexe Aufgabe. Lernen, Erfahrungsaustausch und ein systematischer Wissensaufbau sind dabei unverzichtbare Instrumente, um lokale Bedürfnisse zu verstehen, innovative Lösungen zu entwickeln und langfristige Veränderungen herbeizuführen. Indem wir uns auf gemeinsame Lernprozesse einlassen, können wir aber nicht nur effektivere Lösungen finden, sondern auch langfristige Veränderungen in Denkweisen und Handlungspraktiken bewirken. So kann Lernen nicht nur zum Schlüssel für die Bewältigung konkreter Probleme, sondern auch zur treibenden Kraft hinter einer tiefgreifenderen Transformation werden.